Freitag, 14. Dezember 2012

Russland unterstützt Syrien

Russland liefert Syrien SS-26-Marschflugkörper

Redaktion

Nur wenige Stunden nach der Stationierung der ersten amerikanischen, niederländischen und deutschen Patriot-Luftabwehrsysteme an der türkisch-syrischen Grenze liefen zwei russische Landungsschiffe, die Nowotscherkassk und die Saratow in Begleitung des Versorgungsschiffes MB-304 in den syrischen Hafen Tartus ein. Die Schiffe gehören zur Schwarzmeerflotte und hatten seit dem 24. November vor der syrischen Küste gekreuzt. Russische Sprecher erklärten, die drei Schiffe hielten sich dort wegen kleinerer Reparaturarbeiten auf und ergänzten ihre Wasservorräte.


Aus Militärkreisen war allerdings zu erfahren, dass die Schiffe brisante Fracht an Bord hatten: Sie lieferten den syrischen Streitkräften Baschar al-Assads 24 mobile taktische Marschflugkörper-Batterien vom Typ Iskander-9K720 l (NATO-Bezeichnung »SS-26«), die als Gefechtsfeldwaffen eingesetzt werden können.
Zeitgleich zur Stationierung der Patriot-Systeme waren auf syrischer Seite fünf mobile Abschussvorrichtungen mit jeweils zwei Iskander-Raketen in Stellung gebracht worden, die direkt auf amerikanische und türkische militärische Ziele gerichtet waren. Weitere fünf Systeme wurden an der syrischen Grenze zu Israel und Jordanien positioniert, wo sie ebenfalls auf amerikanische militärische Ziele in den beiden Ländern ausgerichtet sind. Syrische Bedienungsmannschaften wurden in den vergangenen drei Jahren in besonderen Lehrgängen in Russland geschult und können daher ohne Verzug die Kontrolle über die Iskander-Systeme übernehmen.

Die Iskander 9K720 verfügt über eine hohe Durchschlagskraft und gilt als sehr präzise und verlässlich. Daher ist sie eine gute Alternative zu Präzisions-Bombenangriffen und damit bestens geeignet, zu genauen Luftangriffen oder Angriffen mit Marschflugkörpern eingesetzt zu werden, falls die eigene Luftwaffe aufgrund der Überlegenheit der gegnerischen Kampfflugzeuge und der Luftabwehr nicht entsprechend zum Einsatz kommen kann.

Zielerfassung mit Überschallgeschwindigkeit
Jede Batterie verfügt über zwei einstufige Feststoff-Lenkraketen (Modell 9M723K1). Jede dieser Raketen ist während ihres gesamten Fluges steuerbar und mit einem nichtabtrennbaren Sprengkopf ausgestattet. Darüber hinaus kann sie innerhalb weniger Sekunden unabhängig auf neue Ziele programmiert werden.

Die Zielauswahl und -erfassung erfolgt entweder durch Satelliten, Flugzeuge, ein konventionelles nachrichtendienstliches Zentrum, einen Soldaten, der das Artilleriefeuer koordiniert oder aufgrund von Luftaufnahmen, die in den Bordcomputer der Rakete geladen wurden. Bei Angriffen auf bewegliche Ziele können die Raketen während des Fluges neu ausgerichtet werden. Ein weiteres besonderes Merkmal ist der optisch gelenkte Sprengkopf, der durch verschlüsselte Radiobefehle etwa von AWACS oder Drohnen gesteuert werden kann. Der Computer der Rakete erhält Bilder des Ziels, das er dann erfasst und mit Überschallgeschwindigkeit ansteuert.

Mit einem Gewicht von 4.615 Kilogramm kann die Rakete einen Sprengkopf  mit einem Gewicht von 7.120 bis 800 Kilogramm ins Ziel tragen. Ihre Reichweite beträgt zwischen 400 und 800 Kilometern, und sie kann während des Fluges in unterschiedlichen Höhen und Flugbahnen manövrieren. Um Flugabwehrraketen auszuweichen, kann die Iskander mit bis zu 30 G beschleunigen.

Vorbereitungen zu einer militärischen Intervention gegen die Chemiewaffen Assads erst einmal unterbrochen
Diese hochentwickelten russischen Waffensysteme heben die militärischen Fähigkeiten Syriens auf eine neue Ebene und verändern die Ausgangsbedingungen vor Ort grundlegend. Infolgedessen haben die amerikanischen Einheiten in der Nahmittelostregion sowie die Streitkräfte der Türkei, Israels und Jordaniens sowie anderer westlicher und arabischer Staaten ihre Vorbereitungen für ein militärisches Eingreifen in Syrien im Zusammenhang mit dem angeblich bevorstehenden Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime abrupt unterbrochen, nachdem die Stationierung dieser Waffensysteme bekannt wurde. Die amerikanischen, türkischen, israelischen, jordanischen, französischen und britischen Truppen, die sich seit der vergangenen Woche in Gefechtsbereitschaft befanden, wurden erst einmal angewiesen, stillzuhalten.

Keine dieser Streitkräfte hat eine Antwort auf die russischen Iskander-Raketen. Es ist noch nicht einmal sicher, ob die modernsten Raketenabwehrsysteme des Westens – das amerikanische Aegis- und das THAAD-System (Terminal High Altitude Area Defense) gegen ballistische Raketen oder Israels Arrow-2-Flugabwehrraketen – den russischen Marschflugkörpern gewachsen sind. Immerhin fliegen diese Raketen mit mehr als siebenfacher Schallgeschwindigkeit (mehr als zwei Kilometer pro Sekunde), und ihr 725 kg schwerer Sprengkopf kann große Ziele mit hoher Genauigkeit treffen.

Bisher ist es den USA, der Türkei und Israel gelungen, die Informationen über die Stationierung der russischen Marschflugkörper in Syrien weitgehend geheim zu halten. Selbst als die auf außenpolitische Inhalte ausgerichtete Internetseite Mashregh der iranischen Revolutionsgarden am vergangenen Sonntag, dem 9. 12., darüber berichtete, wurde diese Meldung von westlichen oder nahmittelöstlichen Medien nicht aufgegriffen. Die Weltöffentlichkeit ist sich dieser dramatischen Wende im Syrienkonflikt nicht bewusst. Eine Zeit lang verschwanden die Berichte über die Chemiewaffenarsenale Assads, von denen einige auf Desinformation beruhen, und über die westlichen Vorbereitungen auf ein militärisches Eingreifen, um Assad zu stoppen, aus den Titelseiten.

Scud-Raketen verlieren nach Iskander-Lieferung an Bedeutung
Am Dienstag, dem 11.12., erklärte der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta während eines Fluges nach Kuwait, um Fragen zuvorzukommen, ohne die Katze aus dem Sack zu lassen:  »Die Notwendigkeit eines Eingreifens der USA und ihrer Verbündeten in Syrien im Zusammenhang mit Chemiewaffen scheint abzunehmen… Wir haben keine neuen Anzeichen dafür, dass aggressive Schritte in dieser Richtung unternommen werden.«  Die USA würden aber »die Angelegenheit weiterhin genau beobachten, und [der anderen Seite gegenüber] daran festhalten, dass sie auf keinen Fall Chemiewaffen gegen ihre eigene Bevölkerung einsetzen dürfe«. Sollte das geschehen, so Panetta weiter, zöge dies unweigerlich weitreichende Folgen nach sich. Mit diesen Worten sicherte sich Washington zumindest das letzte Wort in der Frage der Chemiewaffen, bevor dieses Thema dann aufgrund einer weiteren beunruhigenden Eskalation – die diesmal vom ewigen »Schurkenstaat« Nordkorea ausging – in den Hintergrund gedrängt wurde.

Aber kurz nach dem Start der ersten nordkoreanischen dreistufigen Langstreckenrakete vom Typ Unha-3  sorgte Assad für weitere Unruhe, als er Scud-Raketen auf von den Aufständischen kontrollierte Gebiete abschoss und damit die amerikanische Androhung »ernster Folgen« bei extremem Vorgehen auf die Probe stellte.

Dies war insofern ein neuer und gefährlicher Schritt, da die in Russland gefertigten Scud-Raketen auch Gefechtsköpfe mit chemischen Waffen tragen können. In der letzten Woche hieß es aus Militärkreisen, bisher habe Assad seine tödlichen Scud-Raketen zurückgehalten, um sie sozusagen als letzten Trumpf in einer ansonsten aussichtslosen Lage auszuspielen. Möglicherweise glaubt er aber nun aufgrund der Lieferung der leistungsstarken Iskander-Raketen durch Moskau, sich ihren Einsatz leisten zu können.

Obama und Netanjahu halten sich zurück
In der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang hatten Kim Jong-un und seine Berater die amerikanischen und russischen Manöver in Syrien genau verfolgt, bevor sie über den am besten geeigneten Zeitpunkt für den Start ihrer dreistufigen Rakete vom Typ Unha-3 entschieden, mit der vom Raumfahrtzentrum Sohae aus der erste nordkoreanische Satellit Kwangmyŏngsŏng-3 in eine Erdumlaufbahn gebracht werden sollte. Die nordkoreanischen Raketenfachleute wurden dabei von einer Gruppe iranischer Raketen- und Raumfahrtexperten unterstützt, die sich seit Mitte November zu den Startvorbereitungen vor Ort befanden.

Die Gründe, die für die Startverschiebungen angegeben wurden – Schneestürme und technische Fehler –  waren nur vorgeschoben, um die Amerikaner und Japaner zu überrumpeln. Als der junge nordkoreanische Führer dann den Eindruck hatte, US-Präsident Barack Obama sei derzeit nicht in der Lage, seine früher geäußerten Drohungen »ernster Konsequenzen« wahrzumachen, befahl er den Start der Unha-3.

Dieser Start erfolgte nur eine Woche nach dem Eintreffen der Iskander-Raketen in Syrien. Aber obwohl Präsident Obama sich nun gleich zwei massiven Bedrohungsszenarien durch Raketen gegenübersah, an denen beide Male der Iran beteiligt war, und seine Nahmittelost-Politik vor seinen Augen in sich zusammenbrach, verzichtete er darauf, in die Offensive zu gehen.

In Jerusalem schloss sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem Vorgehen Obamas an und verzichtete trotz der dadurch erhöhten strategischen Bedrohung auf harsche Reaktionen auf die Stationierung moderner russischer Iskander-Raketen an der Nordgrenze Israels.

Iran will Washington bei Atomgesprächen auflaufen lassen
Der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda bekräftigte am Freitag, dem 7.12., seine Entschlossenheit, jede nordkoreanische Rakete über Japan oder auf Japan herabfallende Trümmer dieser Rakete abzufangen, und erteilte den Streitkräften entsprechende Weisungen. Berichten zufolge diente diese Stellungnahme aber eher dazu, sich vor einem direkten Eingreifen zu drücken, da keine unmittelbare Gefahr bestand, dass die Rakete aus Nordkorea oder deren Trümmerteile auf Japan herabfallen würden. Aber Tatsache bleibt, dass Kim Jong-uns Rakete japanisches Territorium und die großen amerikanischen Marinestützpunkte auf Okinawa überflog und keinerlei Versuch unternommen wurde, die Rakete abzufangen.

Da die Regierung Obama in Bezug auf alle diese Krisenfronten offenbar auf »Stillstand« geschaltet hatte, vermied die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton verständlicherweise, an dem Treffen der »Freunde Syriens« am vergangenen Mittwoch im marokkanischen Marrakesch teilzunehmen. Ihr war klar, dass Washington den Rebellen in Marrakesch kaum mehr als die Entschlossenheit Obamas anbieten konnte, die Exil-Dachorganisation der »Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte« als »legitime Vertretung des syrischen Volkes« anzuerkennen. Die gegen Assad kämpfenden Gruppen wissen, dass diese Worte Baschar al-Assad relativ unberührt lassen werden – insbesondere nachdem er über die tödlichen Iskander-Marschflugkörper verfügt, die das strategische Gleichgewicht der Kräfte zu seinen Gunsten und zu ihren Ungunsten verschoben haben.

Obamas Mangel an Bereitschaft, in dieser sich schnell verändernden Situation das Steuer fest in die Hand zu nehmen, wird vom Iran als Zeichen der Schwäche aufgefasst werden und dürfte sich auf die Atomgespräche, die seit dem 1. Dezember an einem geheimen Ort am Genfer See geführt werden, verheerend auswirken.

In der kommenden Woche werden die Iraner zur nächsten Gesprächsrunde eintreffen, wobei sie das amerikanische Versagen, auf die Stationierung der russischen Iskander-Raketen durch Assad und auf den nordkoreanischen Start einer ballistischen Langstreckenrakete nicht angemessen reagiert zu haben, in eine zuversichtliche Stimmung versetzen dürfte. Teheran ist sicher, dass sich diese beiden »Trümpfe« zu seinen Gunsten auswirken werden.

http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/redaktion/russland-liefert-syrien-ss-26-marschflugkoerper.html 

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