Debatte um Militärintervention: Experten warnen vor Syrien-Abenteuer
Wie könnte ein militärisches
Eingreifen in Syrien aussehen? Die Strategen diskutieren die Einrichtung
eines humanitären Korridors und einer Flugverbotszone. Doch Experten
warnen, dafür müssten 40.000 bis 75.000 Soldaten in das Bürgerkriegsland
einmarschieren.
Glaubt man den politischen Gegnern US-Präsident
Barack Obamas,
dann ist die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien ein Klacks: Man
richte eine Sicherheitszone für Zivilisten ein, schütze diese, bewaffne
die richtigen Leute in Syrien, und schon sei die Sache geritzt,
fabulierte der Republikaner
John McCain
jüngst auf Fox News. Das Beste: Sein Einsatzplan funktioniere "ohne
amerikanische Soldaten im Land", so McCain. Ein Einmarsch sei zur
Befriedung des Bürgerkriegslandes gar nicht nötig.
McCains Auftritt war ein erneuter Versuch, Präsident Obama in einen
Krieg zu treiben, aus dem dieser die USA mit allen Kräften
herauszuhalten versucht. Und er illustrierte wieder einmal, dass die
Diskussion um ein militärisches Eingreifen in Syrien von einigen
Beteiligten weitgehend faktenfrei betrieben wird. Es gibt kaum einen
Experten, der nicht davor warnen würde, dass ein Engagement in Syrien
enormen Aufwand und viele Soldaten bedeuten würde.
Eingreifen bedeutet Krieg
"Humanitäre Schutzzonen müssen von Bodentruppen eingerichtet und
gegen mögliche Angriffe regimetreuer Kräfte gesichert werden", sagt
Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung
Wissenschaft und Politik. Gemeinsam mit Militärs hat Kaim errechnet,
dass die Etablierung eines 80 Kilometer breiten und 50 Kilometer tiefen
humanitären Korridors ein Kontingent von 40.000 bis 50.000 Soldaten
erfordert.
Zudem müsse garantiert werden, dass eine Schutzzone nicht aus der
Luft angegriffen werden könne. Dazu bedürfe es einer Flugverbotszone
über Syrien. Doch werde das Regime die Einrichtung dieser "No-Fly-Zone"
nicht einfach hinnehmen: Schon die Einrichtung einer Flugverbotszone
markiere den Moment, in dem die Eingreifenden zur Kriegspartei würden.
"Dann ist die Grenze zu einem internationalen Konflikt überschritten",
so Kaim.
Auch andere Expertisen weisen darauf hin, dass eine mögliche
Einmischung in Syrien nur im großen Maßstab und womöglich über einen
längeren Zeitraum hinweg sinnvoll ist. Bereits Ende vergangenen Jahres
hatte das US-Verteidigungsministerium durchgespielt, welcher Aufwand
betrieben werden müsse, um die Depots syrischer
Chemiewaffen
zu erobern und zu sichern. Fazit: Allein für diese Aufgabe müsste ein
Heer von mehr als 75.000 Soldaten in Syrien einmarschieren.
Eine andere Variante wäre die Einrichtung einer Schutzzone, die dann
von arabischen Truppen gesichert würde. Laut einem Bericht des "Wall
Street Journal" wird im Pentagon derzeit ein solches Unternehmen
geprüft. Der Plan sähe vor, eine Schutzzone entlang der
syrisch-jordanischen Grenze einzurichten und diese von der jordanischen
Armee sichern zu lassen, so die Zeitung.
Versteckspiel mit Veto
Doch selbst wenn die Jordanier und andere arabische Truppen den
Löwenanteil der Arbeit machten: Die USA wären auch in eine vornehmlich
arabische Unternehmung verstrickt. Bereits jetzt sind Hunderte von
US-Ausbildern und Militärberatern in
Jordanien
vor Ort, um das dortige Militär zu unterstützen. Bislang soll es dabei
vor allem darum gegangen sein, den Jordaniern - und kleinen,
handverlesenen Gruppen syrischer Rebellen - die Sicherung von
Chemiewaffen beizubringen. Seit vergangenem Monat sei ein weiteres
US-Team vor Ort in Jordanien, so das "Wall Street Journal" am Mittwoch.
Es helfe dem dortigen Militär bei der Planung für die Errichtung einer
Schutzzone.
Der Westen ist noch sehr zurückhaltend, wenn es um ein Eingreifen in
Syrien geht. Kritiker werfen den Regierungen vor, sich hinter Formalien
zu verstecken: Dass Russland und China einen Beschluss für einen Einsatz
in Syrien im Uno-Sicherheitsrat mit ihrem Veto blockieren würden, sei
dem Westen eine willkommene Ausrede, nichts zu unternehmen.
Ein Sinneswandel zeichnet sich jedoch hinsichtlich einer Bewaffnung der
Rebellen ab. Vergangene Woche erklärte US-Verteidigungsminister Chuck
Hagel, die USA erwögen nun ernsthaft, die Rebellen mit Waffen zu
versorgen. Großbritannien und vor allem Frankreich haben im vergangenen
Monat mehrfach verkündet, die Freie Syrische Armee mit Kriegsgerät
ausrüsten zu wollen. Stichtag dafür ist der 1. Juni. Denn das
Waffenembargo der EU gegen Syrien läuft Ende Mai aus, sofern es nicht
einstimmig von allen 27 EU-Regierungen verlängert wird.
Gefährliche Entwicklung
Angesichts der Entwicklung der vergangenen Tage - da waren der
mutmaßliche Einsatz von Chemiewaffen, zwei israelische Luftschläge auf
Syrien und zuletzt die erneute
Entführung von vier Uno-Blauhelmen
an der syrisch-israelischen Grenze - dürfte der Ruf nach einer
Einmischung des Westens in Syrien in Zukunft noch lauter werden. Einfach
wäre so ein Engagement beileibe nicht.
Präsident Obama brachte es am Dienstag auf den Punkt: "Es gibt die
Sehnsucht nach einfachen Antworten, das ist verständlich. Aber die gibt
es hier nicht."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-experten-warnen-vor-militaerischem-eingreifen-a-898815.html