Donnerstag, 9. Mai 2013

Experten warnen vor Syrien-Abenteuer

Debatte um Militärintervention: Experten warnen vor Syrien-Abenteuer

Von Ulrike Putz, Beirut
Syrien: Pläne für eine Militärintervention
Fotos
REUTERS
Wie könnte ein militärisches Eingreifen in Syrien aussehen? Die Strategen diskutieren die Einrichtung eines humanitären Korridors und einer Flugverbotszone. Doch Experten warnen, dafür müssten 40.000 bis 75.000 Soldaten in das Bürgerkriegsland einmarschieren.
Glaubt man den politischen Gegnern US-Präsident Barack Obamas, dann ist die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien ein Klacks: Man richte eine Sicherheitszone für Zivilisten ein, schütze diese, bewaffne die richtigen Leute in Syrien, und schon sei die Sache geritzt, fabulierte der Republikaner John McCain jüngst auf Fox News. Das Beste: Sein Einsatzplan funktioniere "ohne amerikanische Soldaten im Land", so McCain. Ein Einmarsch sei zur Befriedung des Bürgerkriegslandes gar nicht nötig.
McCains Auftritt war ein erneuter Versuch, Präsident Obama in einen Krieg zu treiben, aus dem dieser die USA mit allen Kräften herauszuhalten versucht. Und er illustrierte wieder einmal, dass die Diskussion um ein militärisches Eingreifen in Syrien von einigen Beteiligten weitgehend faktenfrei betrieben wird. Es gibt kaum einen Experten, der nicht davor warnen würde, dass ein Engagement in Syrien enormen Aufwand und viele Soldaten bedeuten würde. Eingreifen bedeutet Krieg
"Humanitäre Schutzzonen müssen von Bodentruppen eingerichtet und gegen mögliche Angriffe regimetreuer Kräfte gesichert werden", sagt Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Gemeinsam mit Militärs hat Kaim errechnet, dass die Etablierung eines 80 Kilometer breiten und 50 Kilometer tiefen humanitären Korridors ein Kontingent von 40.000 bis 50.000 Soldaten erfordert.
Zudem müsse garantiert werden, dass eine Schutzzone nicht aus der Luft angegriffen werden könne. Dazu bedürfe es einer Flugverbotszone über Syrien. Doch werde das Regime die Einrichtung dieser "No-Fly-Zone" nicht einfach hinnehmen: Schon die Einrichtung einer Flugverbotszone markiere den Moment, in dem die Eingreifenden zur Kriegspartei würden. "Dann ist die Grenze zu einem internationalen Konflikt überschritten", so Kaim.
Auch andere Expertisen weisen darauf hin, dass eine mögliche Einmischung in Syrien nur im großen Maßstab und womöglich über einen längeren Zeitraum hinweg sinnvoll ist. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte das US-Verteidigungsministerium durchgespielt, welcher Aufwand betrieben werden müsse, um die Depots syrischer Chemiewaffen zu erobern und zu sichern. Fazit: Allein für diese Aufgabe müsste ein Heer von mehr als 75.000 Soldaten in Syrien einmarschieren.
Eine andere Variante wäre die Einrichtung einer Schutzzone, die dann von arabischen Truppen gesichert würde. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" wird im Pentagon derzeit ein solches Unternehmen geprüft. Der Plan sähe vor, eine Schutzzone entlang der syrisch-jordanischen Grenze einzurichten und diese von der jordanischen Armee sichern zu lassen, so die Zeitung.
Versteckspiel mit Veto
Doch selbst wenn die Jordanier und andere arabische Truppen den Löwenanteil der Arbeit machten: Die USA wären auch in eine vornehmlich arabische Unternehmung verstrickt. Bereits jetzt sind Hunderte von US-Ausbildern und Militärberatern in Jordanien vor Ort, um das dortige Militär zu unterstützen. Bislang soll es dabei vor allem darum gegangen sein, den Jordaniern - und kleinen, handverlesenen Gruppen syrischer Rebellen - die Sicherung von Chemiewaffen beizubringen. Seit vergangenem Monat sei ein weiteres US-Team vor Ort in Jordanien, so das "Wall Street Journal" am Mittwoch. Es helfe dem dortigen Militär bei der Planung für die Errichtung einer Schutzzone.
Der Westen ist noch sehr zurückhaltend, wenn es um ein Eingreifen in Syrien geht. Kritiker werfen den Regierungen vor, sich hinter Formalien zu verstecken: Dass Russland und China einen Beschluss für einen Einsatz in Syrien im Uno-Sicherheitsrat mit ihrem Veto blockieren würden, sei dem Westen eine willkommene Ausrede, nichts zu unternehmen.
Ein Sinneswandel zeichnet sich jedoch hinsichtlich einer Bewaffnung der Rebellen ab. Vergangene Woche erklärte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, die USA erwögen nun ernsthaft, die Rebellen mit Waffen zu versorgen. Großbritannien und vor allem Frankreich haben im vergangenen Monat mehrfach verkündet, die Freie Syrische Armee mit Kriegsgerät ausrüsten zu wollen. Stichtag dafür ist der 1. Juni. Denn das Waffenembargo der EU gegen Syrien läuft Ende Mai aus, sofern es nicht einstimmig von allen 27 EU-Regierungen verlängert wird. Gefährliche Entwicklung
Angesichts der Entwicklung der vergangenen Tage - da waren der mutmaßliche Einsatz von Chemiewaffen, zwei israelische Luftschläge auf Syrien und zuletzt die erneute Entführung von vier Uno-Blauhelmen an der syrisch-israelischen Grenze - dürfte der Ruf nach einer Einmischung des Westens in Syrien in Zukunft noch lauter werden. Einfach wäre so ein Engagement beileibe nicht.
Präsident Obama brachte es am Dienstag auf den Punkt: "Es gibt die Sehnsucht nach einfachen Antworten, das ist verständlich. Aber die gibt es hier nicht."

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-experten-warnen-vor-militaerischem-eingreifen-a-898815.html

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