Montag, 19. November 2012

Türkisches Doppelspiel in der Gaza-Krise

Türkisches Doppelspiel in der Gaza-Krise

Ministerpräsident Erdogan entfacht leidenschaftliche Emotionen gegen Israel. Außenminister Davutoglu sichert Hilfe bei der Vermittlung zu. Die Türkei nutzt den Konflikt für ihre eigenen Interessen.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Kairo. Bei der Kurzvisite sagte er, der Westen wolle die Arabische Welt in Stücke reißen
Foto: dpa Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Kairo. Bei der Kurzvisite sagte er, der Westen wolle die Arabische Welt in Stücke reißen
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat Israel am Montag als "terroristischen Staat" bezeichnet, dessen Handlungen "Akte des Terrors" seien. Außerdem schien er anzudeuten, Israel massakriere Zivilisten und Kinder im Gazastreifen, weil sie Muslime seien.
"Jene, die den Islam mit Terrorismus in Verbindung bringen, schließen ihre Augen im Angesicht der Massentötungen von Muslimen, wenden ihre Köpfe ab vom Massaker der Kinder in Gaza", zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Äußerungen Erdogans auf einer Konferenz der Eurasischen Islam-Schura in Istanbul.
Es sind folgenschwere Worte. Wenn Israel ein Terrorstaat ist, dann muss folgerichtig das Ziel der Türkei sein, auf einen Führungswechsel in Israel hinzuarbeiten, sozusagen auf einen Regimewechsel. Es ist zudem eine Vokabel, die Erdogan nie für Länder wie Iran oder Sudan anwandte, die nachweislich Terrorgruppen unterstützen und die eigene Bevölkerung blutig unterdrücken.

Erdogan wiegelt auf, Davutoglu vermittelt

Das ist das eine Gesicht der Türkei im Gaza-Konflikt: Aufwiegeln, leidenschaftliche Emotionen gegen Israel und die westliche Welt entfachen. Am Wochenende sagte er vor ägyptischen und türkischen Geschäftsleuten in Kairo, der Westen wolle die arabische Welt in Stücke reißen – und nach seinen Gesprächen mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi verkündete er, die "Menschheit" werde es besagtem Westen nie verzeihen, wenn "unter dem Vorwand, Israel zu erhalten" Ungerechtigkeit geduldet werde.
Kein Zweifel, hier gibt es kein Suchen nach Balance oder Ausgleich, keine Schuld oder Verantwortung auf beiden Seiten, es gibt nur einen Schuldigen: Israel (als Handlanger des Westens).
Das zweite Gesicht der Türkei ist das des Vermittlers. Bundesaußenminister Guido Westerwelle machte Station in der Türkei, bevor er nach Israel weiterreiste. Am Dienstag will Außenminister Ahmet Davutoglu als Mitglied einer Delegation der Arabischen Liga nach Gaza reisen. Erdogan war am Wochenende in Kairo, als dort fieberhaft unter Einbeziehung eines israelischen Gesandten verhandelt wurde.

Türkei will, dass Hamas als Sieger hervorgeht

Wie passt das zusammen? Die Türkei ist Machtfaktor in der Region und hat eigene Interessen, die sie durchsetzen will. Anders als der Iran, der den Konflikt nur schüren will, hat die Türkei Interesse an einer diplomatischen Lösung – aber eine solche, die die Hamas als Sieger aussehen lässt, und damit auch die Türkei – als Protektor, der dies möglich machte.
Es gibt zwei sehr konkrete Gründe, warum Ankara eine "weiche" Lösung will. Der erste: Eine Radikalisierung der Hamas und längerfristige Eskalation des Konflikts würde vor allem den Iran als Machtfaktor in Gaza stärken, denn von dort kommen die Waffen der Hamas. Die Türkei aber will lieber ihren eigenen Einfluss in Gaza ausweiten. Dafür muss der Einfluss des Iran in Gaza zurückgedrängt werden.

Ankara fürchtet Verzweiflungstat des Assad-Regimes

Der zweite Grund ist Syrien. Auch dort will die Türkei den eigenen Einfluss ausweiten und den des Iran eindämmen. Aber um das mit dem Iran verbündete Assad-Regime zu stürzen, bedarf es einer Intervention der Staatengemeinschaft. Bisher sieht es danach nicht aus. Gleichzeitig hat die Türkei inzwischen Raketenabwehr-Batterien zum Schutz gegen Syrien erbeten.
Solche Abwehrsysteme machen nur Sinn als Schutz gegen syrische Scud-Raketen, eventuell mit Giftgas-Sprengköpfen. Das wäre natürlich eine Verzweiflungstat im Todeskampf der syrischen Diktatur, wenn die dortige Führung zu dem Schluss kommen sollte, dass ihr Ende nah ist, und dass die Türkei Schuld daran ist. Ankara verlangt seit geraumer Zeit eine Militärintervention der Staatengemeinschaft in Syrien.
Gegen Syrien will und muss sich Ankara also auf die Nato stützen, aber die USA und überhaupt der Westen stehen im Gaza-Konflikt eher auf der Seite Israels als auf der Seite der Hamas. Es ist also auch deswegen sicher sinnvoll für die Türkei, in Gaza auf Verhandlungen und Moderation zu setzen. Das hält sie freilich nicht davon ab, eine interessierte Lösung zu forcieren, die Hamas begünstigt.

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