Türkisches Doppelspiel in der Gaza-Krise
Ministerpräsident Erdogan entfacht leidenschaftliche
Emotionen gegen Israel. Außenminister Davutoglu sichert Hilfe bei der
Vermittlung zu. Die Türkei nutzt den Konflikt für ihre eigenen
Interessen. Von Boris Kálnoky
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat Israel
am Montag als "terroristischen Staat" bezeichnet, dessen Handlungen
"Akte des Terrors" seien. Außerdem schien er anzudeuten, Israel
massakriere Zivilisten und Kinder im Gazastreifen, weil sie Muslime
seien.
"Jene, die den
Islam mit Terrorismus in Verbindung bringen, schließen ihre Augen im
Angesicht der Massentötungen von Muslimen, wenden ihre Köpfe ab vom
Massaker der Kinder in Gaza", zitierte die Nachrichtenagentur Reuters
Äußerungen Erdogans auf einer Konferenz der Eurasischen Islam-Schura in
Istanbul.
Es sind
folgenschwere Worte. Wenn Israel ein Terrorstaat ist, dann muss
folgerichtig das Ziel der Türkei sein, auf einen Führungswechsel in
Israel hinzuarbeiten, sozusagen auf einen Regimewechsel. Es ist zudem
eine Vokabel, die Erdogan nie für Länder wie Iran oder Sudan anwandte,
die nachweislich Terrorgruppen unterstützen und die eigene Bevölkerung
blutig unterdrücken.
Erdogan wiegelt auf, Davutoglu vermittelt
Das ist das eine
Gesicht der Türkei im Gaza-Konflikt: Aufwiegeln, leidenschaftliche
Emotionen gegen Israel und die westliche Welt entfachen. Am Wochenende
sagte er vor ägyptischen und türkischen Geschäftsleuten in Kairo, der
Westen wolle die arabische Welt in Stücke reißen – und nach seinen
Gesprächen mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi
verkündete er, die "Menschheit" werde es besagtem Westen nie verzeihen,
wenn "unter dem Vorwand, Israel zu erhalten" Ungerechtigkeit geduldet
werde.
Kein Zweifel,
hier gibt es kein Suchen nach Balance oder Ausgleich, keine Schuld oder
Verantwortung auf beiden Seiten, es gibt nur einen Schuldigen: Israel
(als Handlanger des Westens).
Das zweite Gesicht der Türkei ist das des Vermittlers. Bundesaußenminister Guido Westerwelle
machte Station in der Türkei, bevor er nach Israel weiterreiste. Am
Dienstag will Außenminister Ahmet Davutoglu als Mitglied einer
Delegation der Arabischen Liga nach Gaza reisen. Erdogan war am
Wochenende in Kairo, als dort fieberhaft unter Einbeziehung eines
israelischen Gesandten verhandelt wurde.
Türkei will, dass Hamas als Sieger hervorgeht
Wie passt das
zusammen? Die Türkei ist Machtfaktor in der Region und hat eigene
Interessen, die sie durchsetzen will. Anders als der Iran, der den
Konflikt nur schüren will, hat die Türkei Interesse an einer
diplomatischen Lösung – aber eine solche, die die Hamas als Sieger
aussehen lässt, und damit auch die Türkei – als Protektor, der dies
möglich machte.
Es gibt zwei
sehr konkrete Gründe, warum Ankara eine "weiche" Lösung will. Der erste:
Eine Radikalisierung der Hamas und längerfristige Eskalation des
Konflikts würde vor allem den Iran als Machtfaktor in Gaza stärken, denn
von dort kommen die Waffen der Hamas. Die Türkei aber will lieber ihren
eigenen Einfluss in Gaza ausweiten. Dafür muss der Einfluss des Iran in
Gaza zurückgedrängt werden.
Ankara fürchtet Verzweiflungstat des Assad-Regimes
Der zweite Grund ist Syrien.
Auch dort will die Türkei den eigenen Einfluss ausweiten und den des
Iran eindämmen. Aber um das mit dem Iran verbündete Assad-Regime zu
stürzen, bedarf es einer Intervention der Staatengemeinschaft. Bisher
sieht es danach nicht aus. Gleichzeitig hat die Türkei inzwischen
Raketenabwehr-Batterien zum Schutz gegen Syrien erbeten.
Solche
Abwehrsysteme machen nur Sinn als Schutz gegen syrische Scud-Raketen,
eventuell mit Giftgas-Sprengköpfen. Das wäre natürlich eine
Verzweiflungstat im Todeskampf der syrischen Diktatur, wenn die dortige
Führung zu dem Schluss kommen sollte, dass ihr Ende nah ist, und dass
die Türkei Schuld daran ist. Ankara verlangt seit geraumer Zeit eine
Militärintervention der Staatengemeinschaft in Syrien.
Gegen Syrien
will und muss sich Ankara also auf die Nato stützen, aber die USA und
überhaupt der Westen stehen im Gaza-Konflikt eher auf der Seite Israels
als auf der Seite der Hamas. Es ist also auch deswegen sicher sinnvoll
für die Türkei, in Gaza auf Verhandlungen und Moderation zu setzen. Das
hält sie freilich nicht davon ab, eine interessierte Lösung zu
forcieren, die Hamas begünstigt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.