Eine Mehrheit der Deutschen ist für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
In einer aufgeklärten Gesellschaft muss ein selbstbestimmter Tod
möglich sein, aber Unionspolitiker planen, selbst Beihilfe zum Suizid
unter Strafe zu stellen
Es wird höchste Zeit, dass auch in Deutschland die Politiker damit
aufhören, in ganz privaten und wirklich existenziellen Angelegenheiten
den Menschen hineinreden zu wollen ("Mein Wille geschehe!"). Eine von Forsa durchgeführte repräsentative DAK-Umfrage
von 1.005 Menschen mit einer statistischen Fehlertoleranz von +/- 3
Prozent hat ergeben, dass 70 Prozent der Befragten zumindest bei
schwersten Krankheiten für sich die Möglichkeit haben wollen, eine
aktive Sterbehilfe zu erhalten. Sie wollen also, dass hier ärztliche
Hilfe legalisiert wird. Nur 22 Prozent sagen, sie würden aktive
Sterbehilfe für sich persönlich nicht in Anspruch nehmen wollen.
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Die "Selbstmordmaschine" des australischen
Arztes Philip Nitschke im Londoner Science Museum. Er hat die
Organisation Exit International gegründet und bespricht Mittel für
Sterbewillige. Auch in Australien spricht sich die Mehrheit für aktive
Sterbehilfe aus. Bild: gemeinfrei |
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Die neue Bundesregierung hat verabredet, endlich die
Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Das finden 79 Prozent der Befragten
auch richtig, schließlich ist für jeden Einzelnen und vor allem auch für
Ärzte Rechtssicherheit. Aber Politiker sowohl aus den Reihen der Union
wie der designierte CDU-Generalsekretär Peter Tauber oder
Gesundheitsminister
Hermann Gröhe
als auch aus denen der SPD wie Franz Müntefering haben schon
angekündigt, dass sie aktive Sterbehilfe auch bei unheilbaren
Krankheiten nicht ermöglichen wollen.
Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe
machte
sich auch dafür stark, die jetzt mögliche Beihilfe zum Suizid noch
unter Strafe stellen zu können, also die Entmündigung der Bürger noch zu
verstärken. Das soll nicht nur bei gewerbsmäßigen Angeboten geschehen,
sondern "bereits dann, wenn Einzelpersonen oder organisierte
Personengruppen ein für beliebig viele Wiederholungsfälle nutzbares
Dienstleistungsangebot zur Verfügung stellen", was also Organisationen
wie Dignitas, EXIT, Dignita. Deswegen muss für Hüppe auch ärztliche
Beihilfe zum Suizid bestraft werden, was auch Gröhe unterstützt, der
nicht nur kommerziell betriebene, sondern auch "geschäftsmäßige
Suizidbeihilfe" etwa von Sterbehilfevereinen, geächtet sehen will (
Sterbehilfe, Roger Kusch und die Pharisäer).
Schon allein ein "scheinbar normales Dienstleistungsangebot von Suizidhilfeorganisationen", so
argumentiert
Hüppe, würde "eine Gefährdung der besonders suizidgefährdeten Menschen"
darstellen. Dahinter steckt der übliche Gedanke, dass die Gelegenheit
Diebe macht, in diesem Fall also den Hang zum Selbstmord verstärkt.
Damit ließe sich auch das Verbot des Verkaufs von Messern, Medikamenten
oder Stricken begründen, selbst öffentlich über das Recht auf Suizid und
den Möglichkeiten, diesen durchzuführen, zu räsonieren, könnte
Gefährdungen verursachen. Den Menschen es unmöglich machen zu wollen, an
Mittel heranzukommen und Beratung zu erhalten, um selbst in Würde das
Leben zu beenden können, wird dann als human verkauft, bedeutet aber
Entmündigung und mitunter die Verordnung, schwere Schmerzen ertragen zu
müssen, besonders wenn die immer gerne versprochene Hilfe der
Mitmenschen nicht geleistet wird (
Religiöse Ärzte verweigern Todkranken eher starke Schmerzmittel).
Ähnlich wie bei der Überwachung vermisst man bei diesem
Thema die liberale Position, die eben auch Stärkung der Bürgerrechte
bedeutet. Allerdings war hier auch die bei Konservativen und Liberalen
ansonsten seltsame, weil seltene Verurteilung des Gewerbsmäßigen
vordergründig. Immerhin hatte Ex-Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger aber einen von der Union abgelehnten
Gesetzesentwurf vorgeschlagen, der zwar die "gewerbsmäßige Förderung der
Selbsttötung" mit Gewinnabsicht und auf Wiederholung ausgerichtet
verbieten, aber "nicht gewerbsmäßig handelnde Teilnehmer" ausnehmen
wollte. Darunter wurden "Angehörige oder andere ihm nahestehende
Personen" verstanden, wozu auch ein "langjähriger Hausarzt oder eine
entsprechende Pflegekraft" sein konnte, also durchaus auch gewerbsmäßig
handelnde Personen.
Jetzt tritt der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki dafür
ein, nicht jede Form der aktiven Sterbehilfe zu verbieten. Und er hat
gute Argumente, wie er der Welt
sagte:
Es ist für mich von zentraler Bedeutung, dass
Menschen das Recht haben, ihrem Leben unter Umständen selbstbestimmt
ein Ende zu setzen. Der Staat darf sich nicht anmaßen, den Bürgern eine
solche Selbstbestimmung durch ein Gesetz wie das von der Union geplante
kategorisch zu verbieten.
In Deutschland ist aktive Sterbehilfe nach § 216 StGB
(Tötung auf Verlangen) verboten. Auch der Versuch ist strafbar. Passive
Sterbehilfe, beispielsweise durch Beendigung lebensverlängernder
Maßnahmen mit der auch mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen ist
hingegen möglich. Hier wird das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen
im Gegensatz zu aktiver Strebehilfe berücksichtigt. Das ist allerdings
unsauber ausdifferenziert, das Ausschalten von Geräten wird etwa als
Unterlassung gewertet, obgleich es auch ein aktiver Vorgang ist. Es wird
nur nichts hinzugeführt, sondern die Versorgung abgebrochen. Würde
keine mutmaßliche Einwilligung oder keine Patientenverfügung vorliegen,
müsste auch dies als Tötung gelten. Schwierigkeiten gibt es etwa auch
bei einem Notstand, etwa § 34 StGB wenn ein Mensch, dessen Leben nicht
gerettet werden, zur Verkürzung seines Leidens getötet würde. Ein
anderer Fall wäre eine indirekte Sterbehilfe, die durch hohe Gaben von
schmerzlindernden Medikamenten die Lebenszeit verkürzt.
Gefragt wurde allerdings nur im Hinblick auf "schwerste
Krankheiten", vermutlich würde sich auch ein erheblicher Anteil von
Menschen dafür aussprechen, im Prinzip bei schwerer körperlicher oder
psychischer Krankheit, vielleicht auch bei ausweglos empfundener
Lebensmüdigkeit, über sein Leben selbst entscheiden zu können - und
dabei Hilfe annehmen zu dürfen, um in Würde und möglichst schmerzlos aus
dem Leben gehen können (s.a.
Das Recht zu sterben).
Allerdings wird man sagen müssen, dass nach der Umfrage
viele sich gar keine Gedanken darüber machen wollen und das Thema lieber
verdrängen. So sagen 41 Prozent sie seien "weniger gut" und 16 Prozent
"überhaupt nicht gut" über die geltenden Regeln zur Sterbehilfe
informiert. Das wird man so werten können, dass mindestens die Hälfte
nicht weiß, was der Stand der Dinge ist. Natürlich nimmt das Wissen mit
höherem Alter zu, aber noch immer fast 50 Prozent der Über-60-Jährigen
weiß kaum etwas über die bestehende Gesetzeslage. 16 Prozent wollen
lieber, dass der Bundestag Sterbehilfe nicht gesetzlich regelt. Warum
sie dagegen sind, wurde nicht gefragt. Vielleicht fürchten sie die zu
erwartende Bevormundung?