Samstag, 11. Januar 2014

Massenmörder und Kriegsverbrecher Sharon ist tot

Israels früherer Ministerpräsident Ariel Sharon ist tot

Haudegen und Staatsmann

Auslandnachrichten
Ariel Sharon in einer Aufnahme vom November 2005.
Ariel Sharon in einer Aufnahme vom November 2005. (Bild: Reuters)
Der frühere israelische Ministerpräsident Ariel Sharon ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Das berichteten mehrere israelische Medien übereinstimmend am Samstag. Der frühere Politiker und Militär hatte 2006 einen Schlaganfall erlitten und lag seither im Koma.
George Szpiro
Er gab den Palästinensern den Gazastreifen zurück, trug aber auch Mitverantwortung für Massaker im Libanonkrieg. Was Ariel Sharon in seiner langen Karriere als Soldat und Politiker auch immer anpackte, führte in Israel zu Kontroversen.
Ariel Sharon war seit langem auf seltsame Art ein Untoter der israelischen Politik. Nach einem Gehirnschlag im Januar 2006 fiel er ins Koma und wurde seither auf seiner Ranch in der Negevwüste gepflegt. Zugleich überstrahlte der ebenso raubeinige wie charismatische Politiker, der von 2001 bis 2006 israelischer Ministerpräsident war, seine blasseren Nachfolger. Seine Karriere als Soldat und Politiker war auch ein Bilderbogen der israelischen Geschichte in ihren Licht- und Schattenseiten. Er war manchmal rücksichtslos und ohne Skrupel, aber er hatte auch den Mumm, die 8000 israelischen Siedler aus dem Gazastreifen zu evakuieren. Ariel Sharon ist am Samstag einem multiplen Organversagen erlegen.

Querdenker

Sharon wurde 1928 als Sohn von aus Litauen stammenden Juden in Kfar Malal, einer Landwirtschaftssiedlung im Zentrum des späteren Israel, geboren. Obwohl die Eltern der sozialistischen Mapai-Partei angehörten, der Vorläuferin der heutigen Arbeitspartei, waren sie Freigeister und liessen sich von dem vorherrschenden bolschewistisch geprägten Gedankengut nicht vereinnahmen. Dafür wurden sie von den Nachbarn geächtet. Offenbar erbte der Sohn von den Eltern diese Selbständigkeit der Denkweise und entwickelte die dazu nötige dicke Haut. Zeit seines Lebens galt er trotz vielen Anfeindungen als furchtloser Querdenker.
Im Alter von vierzehn Jahren trat er der paramilitärisch organisierten Jugendbewegung Gadna bei und vier Jahre später der im Untergrund agierenden Kampfgruppe Haganah, Vorläuferin der heutigen Armee. Nach der Gründung des Staates Israel stieg Sharon in der Armeehierarchie auf. Bekannt wurde er durch seine unkonventionellen Taktiken. Erste Sporen verdiente er sich als Kommandant der legendären Einheit 101. Diese Elitetruppe spezialisierte sich auf Vergeltungsakte gegen arabische Fedayin, die Attentate gegen israelische Siedlungen verübten. Allerdings wurde die Einheit nach einem Massaker an palästinensischen Zivilisten in Cisjordanien aufgelöst und in die Fallschirmtruppen eingegliedert.
Während der Suezkrise 1956 war Sharon Kommandant der Fallschirmtruppen, die in verlustreichen Kämpfen den Mitla-Pass im Sinai einnahmen. Sharon wurde vorgeworfen, dass er Menschenleben um manchmal zweifelhafter militärischer Ziele willen leichtfertig aufs Spiel setzte. Dies verlangsamte seine Beförderung in der Armee. Trotzdem stieg er während Yitzhak Rabins Amtszeit als Generalstabschef schliesslich in den Rang eines Generalmajors auf. Im Sechstagekrieg befehligte er die Panzerdivision, der der Durchbruch durch die ägyptischen Linien gelang. Dies führte zur Eroberung der Sinaihalbinsel und zur Niederlage Ägyptens. 1969 wurde Sharon zum Oberkommandierenden des israelischen Südabschnitts ernannt. Infolge seiner unkonventionellen und manchmal auch unbotmässigen Art hatte der damals 45-jährige Sharon jedoch keine Chance, je auf den Posten des Generalstabschefs aufzusteigen. Deshalb demissionierte er im August 1973 und beteiligte sich an der Gründung der national orientierten Likud-Partei.
Zwei Monate später, gleich nach Beginn des Jom-Kippur-Krieges, wurde Sharon in den Aktivdienst zurückberufen. Mit einer Panzerdivision gelang es ihm, einen Brückenkopf zwischen zwei ägyptischen Armee-Einheiten über den Suezkanal zu schlagen. Diese Aktion brachte die Wende des Krieges. Sharon wurde wiederum Eigenmächtigkeit vorgeworfen, doch wurde er von einem Militärgericht freigesprochen. Seitdem galt er als Kriegsheld, dessen Strategie den Sieg der israelischen Armee gegen Ägypten ermöglicht hatte. Im Februar 1974 verliess er die Armee und wandte sich endgültig der Politik zu.

Die Massaker in Beirut

1977 gründete er eine eigene Partei, die bei den Wahlen zwei Mandate erhielt. Kurz darauf gliederte er sie in den Likud ein. Als Dank wurde er von Ministerpräsident Begin zum Landwirtschaftsminister ernannt. Den Tiefpunkt seiner Karriere erreichte Sharon 1982. Während des Libanonkrieges gestattete die israelische Armee auf Geheiss von Verteidigungsminister Sharon christlichen Falangisten Zugang zu den Flüchtlingslagern Sabra und Chatila. Die Falangisten brachten dabei Hunderte von palästinensischen Zivilisten kaltblütig um. Eine israelische Untersuchungskommission befand, dass die israelische Armee und Sharon indirekte Verantwortung für das Massaker trugen. Sharon musste zurücktreten.
Im September 2000 unternahm Sharon als Oppositionschef – bewacht von über tausend Sicherheitsleuten – einen Spaziergang auf dem Tempelberg. Der Auftritt provozierte die Palästinenser und trug zum Ausbruch der zweiten Intifada bei. Seiner Popularität vermochte dies nichts anzuhaben; kurz darauf gewann er haushoch die Wahlen.
Sharons historisch bedeutsamste Tat war die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen 2005. Gegen den Widerstand grosser Teile der Bevölkerung und trotz monatelangen Demonstrationen evakuierte er alle israelischen Siedler. Allerdings führte er die Räumung in einer Art durch, die den Grundstein für die Erstarkung und Machtübernahme der islamistischen Hamas legte. Damit ja nicht der Eindruck entstünde, Israel verlasse den Gazastreifen unter Druck, weigerte er sich, die Aktion mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zu koordinieren und bestand darauf, sie unilateral zu gestalten.
Sharon war bekannt für seine Bereitschaft zu unkonventionellen Methoden, zur Missachtung von Befehlen, zum Widerstand gegen Vorgesetzte und zur Umgehung der Verwaltungsbürokratie. Auch politisch scherte er sich wenig um die Meinung des Fussvolkes, falls er eine Entscheidung für richtig hielt. Zum Beispiel veranstaltete er auf Druck der Partei ein Referendum im Likud zur Gaza-Evakuierung – und ignorierte das Resultat dann einfach. Als er den Rückhalt in der Likud-Partei verlor, gründete er im November 2005 die neue Zentrumspartei Kadima («Vorwärts») und rief für 2006 Neuwahlen aus. Er erkrankte jedoch, bevor es zur Wahl kam. Es war sein designierter Nachfolger Ehud Olmert, der Kadima dann zum Sieg führte.
Die privaten Unternehmungen Sharons waren nicht frei von Korruptionsverdacht. Viele Leute fragten sich, wie Sharon, der zeit seines Lebens von Staatsgehältern lebte, Ländereien kaufen konnte, die er zur grössten Privatfarm Israels machte. So wurden zweifelhafte Kontakte zwischen einem österreichischen Milliardär und der Familie Sharon aufgedeckt. Der ältere Sohn, Omri Sharon, wurde wegen Vergehen gegen das Parteifinanzierungsgesetz zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Korruptionsvorwürfe

Sharons Leben war von Kontroversen gezeichnet. Oberstes Ziel war für ihn immer die Sicherstellung und Stärkung des Staates Israel. Um dies zu erreichen, scheute er sich nicht, Verbündete vor den Kopf zu stossen und hart am Rand der Illegalität zu handeln. Aber er war auch bereit, ideologische Überzeugungen zugunsten pragmatischer Positionen aufzugeben und über den eigenen Schatten zu springen.

http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/israels-frueher-ministerpraesident-ariel-sharon-ist-tot-1.18219198 

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