Pressemitteilung | 12.04.2012
Inzestverbot überholt
Jerzy Montag
Zur heutigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach die deutsche Strafvorschrift des Beischlafverbots zwischen Verwandten und Geschwistern nicht gegen Europäische Menschenrechte verstößt, erklärt Jerzy Montag, Sprecher für Rechtspolitik:Die heutige - noch nicht endgültige - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überrascht nicht. Sie ist gleichwohl ein Rückschlag für eine rationale, an Kriterien der Sozialschädlichkeit und des Rechtsgüterschutzes ausgerichtete Kriminalpolitik. Wie der EGMR zu Recht ausführt, sind die Auffassungen zum Inzestverbot in den 49 Staaten der Europäischen Menschenrechtskonvention zu unterschiedlich, um in einer moralisch so sensiblen Frage einen Verstoß gegen elementare Menschenrechte zu erblicken.
In der Sache bleibt die strafrechtliche Verfolgung vom Beischlaf unter Verwandten und Geschwistern ein Anachronismus. Moralische Tabus und soziale Anstandsregeln dürfen nicht mit dem Strafrecht durchgesetzt werden. Früher vielleicht schlüssige Begründungen für eine solche Strafbarkeit halten heute einer Überprüfung nicht mehr Stand.
So wird auf angebliche Gesundheitsgefahren für eventuell gezeugte Kinder verwiesen, wobei die Zeugung von gesundheitlich gefährdeten Kindern in vielen anderen Konstellationen - völlig zu Recht - straffrei ist.
Unter Strafe gestellt ist dabei nicht die Zeugung von Kindern, sondern lediglich der Beischlaf. Andere Formen der Sexualität bleiben straffrei.
Es gibt nur eine richtige Konsequenz: Die Strafvorschrift des Beischlafs unter Verwandten und Geschwistern ist aufzuheben. Dies stellt keine Befürwortung moralisch und ethisch fragwürdiger Sexualpraktiken dar. Es ist nur die Einsicht, dass eine rationale Kriminalitätspolitik kein Ersatz für Regelungen des Anstands oder der Moral ist.
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